Zu den Voraussetzungen an einen Anspruch des Mieters auf Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen einer besonderen Härte bei Beendigung des Mietverhältnisses nach § 574 BGB
BGH, Urteil vom 03.02.2021; VIII ZR 68/19
Sachverhalt
Die Mieter sind 87 und 99 Jahre alt. Der Mietvertrag wurde im Jahr 1997 über eine Zweizimmerwohnung in Berlin geschlossen. Im August 2019 wird das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs ordentlich gekündigt. Der Kündigung wird unter Hinweis auf das hohe Alter, den beeinträchtigten Gesundheitszustand, die langjährige Verwurzelung am Ort der Mietsache und die für die Beschaffung von Ersatzwohnraum beschränkten finanziellen Mittel widersprochen. Das Amtsgericht weist die Räumungsklage ab und ordnet an, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt wird. Zuvor war ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten über die zu besorgenden Kündigungsfolgen eingeholt worden. Die von der Vermieterin eingelegte Berufung blieb erfolglos.
Entscheidung
Der BGH hebt das Urteil des Landgerichtes auf und verweist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück. Die Begründung des Landgerichtes, wonach allein bereits das hohe Alter der Mieter eine besondere Härte im Sinne von § 574 BGB rechtfertigen würde, sei nicht tragfähig. Das hohe Alter eines Mieters könne sich je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung durchaus unterschiedlich auswirken. Ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen für den Mieter könne das hohe Alter allein daher noch keine besondere Härte begründen. Auch eine jahrzehntelange soziale Verwurzelung eines Mieters am Ort der Mietsache (hier: 18 Jahre) könne nicht allein aus einer langjährigen Mietdauer hergeleitet werden. Auch dies hänge von der individuellen Lebensführung des Mieters ab, namentlich ob er soziale Kontakte in der Nachbarschaft pflege, Einkäufe in der näheren Umgebung erledige, an kulturellen, sportlichen oder religiösen Veranstaltungen in der Nähe seiner Wohnung teilnehme oder medizinische oder andere Dienstleistungen in der Wohnungsumgebung in Anspruch nehme. Hierzu fehle es an Feststellungen des Landgerichtes. Im Hinblick auf die notwendige Interessenabwägung sei zudem ein rechtlich unzutreffender Maßstab angelegt worden. Angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse sei es unzulässig, bestimmten Belangen des Vermieters und oder des Mieters von vornherein ‑ quasi kategorisch ‑ ein größeres Gewicht beizumessen. Die Abwägung müsse sich vielmehr stets an den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalles auszurichten.
Fazit
Das Urteil bestätigt erneut, dass es bei der Bewertung eines Kündigungswiderspruches und der dabei erforderlichen Interessenabwägung keine pauschale Bevorzugung bestimmter Belange von Vermieter und Mieter geben darf. Ohne konkrete Feststellungen des zuständigen Gerichtes zu den individuellen Lebensverhältnissen der Parteien, ist ein entsprechendes Urteil in jedem Fall angreifbar. Das hohe Alter eines Mieters für sich allein darf nach der Auffassung des Bundesgerichtshofes daher kein generalisierendes Kriterium für einen wirksamen Kündigungswiderspruch sein.