Jahresabrechnung unwirksam – dennoch kein Anspruch auf Erstattung der Abrechnungsspitze
Wird ein Beschluss über die Änderung der Kostenverteilungsmaßstäbe für ungültig erklärt, ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verpflichtet, während des Beschlussanfechtungsverfahrens erstellte Jahresabrechnungen nachträglich zu berichtigen und über die Einforderung von Nachschüssen und die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse erneut zu beschließen.
Hat die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Durchsetzung von Nachschussforderungen bereits eine Klage gegen einen säumigen Wohnungseigentümer erhoben, muss die Gemeinschaft ab dem Zeitpunkt der Ungültigerklärung des Beschlusses über einen geänderten Kostenverteilungsmaßstab von der weiteren Durchsetzung der Nachschussforderungen absehen. Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache für erledigt zu erklären, die Gemeinschaft kann jedoch den Ersatz der bis zu dem Erledigungszeitpunkt aufgelaufenen Verzugsschäden weiterhin fordern.
BGH, Urteil vom 16.06.2023; V ZR 251/21
Sachverhalt
In einer Wohnungseigentümergemeinschaft wird eine Dachsanierungsmaßnahme erforderlich und die Wohnungseigentümer beschließen, die Dachsanierung für ein separates Gebäudeteil vorzunehmen und die Kosten dem Teileigentümer aufzuerlegen, dessen Teileigentumseinheit unterhalb der betroffenen Dachfläche liegt. Der betroffene Teileigentümer erhebt gegen diese Beschlussfassung die Anfechtungsklage und während des laufenden Verfahrens wird die Sanierungsmaßnahme durchgeführt und die Kosten in die Jahresabrechnung eingestellt. Aus der Jahresabrechnung folgt für den betroffenen Teileigentümer ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 22.270,13 €. Der Beschluss über diese Jahresabrechnung nach dem bis Dezember 2020 geltenden Wohnungseigentumsgesetz wird nicht angefochten und die Wohnungseigentümergemeinschaft nimmt den betroffenen Teileigentümer auf Zahlung nebst vorgerichtlichen Anwaltskosten und Verzugszinsen in Anspruch. Der Beschluss über die Änderung des Kostenverteilungsschlüssels wird sodann für ungültig erklärt, die Wohnungseigentümergemeinschaft hält jedoch an dem Zahlungsanspruch aus der nicht angefochtenen Abrechnung fest. Das örtliche Amtsgericht hat der Zahlungsklage stattgegeben und die Berufung des betroffenen Teileigentümers blieb ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt der betroffene Teileigentümer sein Klagabweisungsbegehren weiter.
Entscheidung
Mit Erfolg! Der für das Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs stellt klar, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ab dem Zeitpunkt, ab dem die der Abrechnung zugrundeliegende Kostenverteilung für ungültig erklärt wird, den aus der Rechnung abgeleiteten Nachzahlungsanspruch nicht weiter verfolgen darf. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ist vielmehr verpflichtet, eine Berichtigung der Abrechnung zu veranlassen und eine neue Beschlussfassung über die Einforderung von Nachschüssen und die Anpassung geleisteter Vorschüsse vorzunehmen.
Die Beschlussfassung über die Jahresabrechnung war zwar grundsätzlich wirksam, hat jedoch mit der Rechtskraft des Urteils über die Ungültigerklärung des geänderten Kostenverteilungsmaßstabs seine Grundlage verloren. Der Senat führt an, dass die Zahlungsklage zunächst zutreffend erhoben wurde, da aus dem Abrechnungsbeschluss ein durchsetzbarer Zahlungsanspruch der Gemeinschaft folgte. Der beklagte Wohnungseigentümer konnte in diesem Rechtsstreit nicht einwenden, dass die zugrundeliegende Kostenverteilung nicht zutreffend war, da der Beschluss über die geänderte Kostenverteilung noch nicht rechtskräftig für ungültig erklärt wurde.
In einer solchen prozessualen Konstellation ist das Verfahren über die Zahlungsklage auch nicht wegen einer vermeintlichen Vorgreiflichkeit der Entscheidung über den Kostenverteilungsmaßstab auszusetzen, wie der Senat ausdrücklich betont. Ab dem Zeitpunkt der Ungültigerklärung des Beschlusses über die geänderte Kostenverteilung ändert sich die rechtliche Situation indes maßgebend.
Ab dem Zeitpunkt, ab dem feststeht, dass der der Jahresabrechnung zugrundeliegende Kostenverteilungsmaßstab fehlerhaft ist, ist es der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer aus dem Grundsatz von Treu und Glauben zu versagen, an der fehlerhaft berechneten Forderung aus der Jahresabrechnung weiter festzuhalten. Die Gemeinschaft ist verpflichtet, eine Berichtigung der betroffenen Jahresabrechnung vorzunehmen und über die Einforderung von Nachschüssen sowie die Anpassung der geleisteten Vorschüsse erneut zu beschließen. Eine Anfechtung des Beschlusses über die Jahresabrechnung musste der von der falschen Kostenverteilung betroffene Wohnungseigentümer nicht vornehmen. Es besteht vielmehr ein Anspruch auf eine abändernde Beschlussfassung, da die rechtlichen Verhältnisse mit der Rechtskraft des Urteils über die Ungültigerklärung des Kostenverteilungsmaßstabes sich wesentlich verändert habe. In dem Rechtsstreit über den Nachzahlungsbetrag war die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer daher gehalten, den Rechtstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Da bis zu dem Zeitpunkt des sogenannten erledigenden Ereignisses der Zahlungsanspruch der Wohnungseigentümergemeinschaft durchsetzbar bestand, bleibt der betroffene Wohnungseigentümer verpflichtet, die Verzugsfolgen gegenüber der Gemeinschaft auszugleichen, mithin die vorgerichtlichen Anwaltskosten und die Verzugszinsen zu leisten. Zudem wäre der Teileigentümer zu verpflichten gewesen, die Kosten des Rechtsstreites zu tragen. Da die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer indes nicht dergestalt verfahren ist, war das Berufungsurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fazit
Mit dieser Entscheidung bekräftigt der Bundesgerichtshof den Grundsatz, dass in einer Wohnungseigentümerversammlung gefasste Beschlüsse solange wirksam sind, bis sie rechtskräftig in einem Beschlussanfechtungsverfahren für ungültig erklärt werden. Der Beschluss über die Jahresabrechnung mit geändertem Kostenverteilungsmaßstab führte mithin zunächst zu einer durchsetzbaren Forderung gegenüber dem betroffenen Teileigentümer, der zur Vermeidung der Verzugsfolgen eine Zahlung an die Gemeinschaft hätte leisten müssen. Erst mit der Rechtskraft des Urteils in dem Beschlussanfechtungsverfahren über den vorangegangenen Beschluss zur Abänderung des Kostenverteilungsmaßstabes änderte sich die rechtliche Situation und der betroffene Teileigentümer erwarb einen Anspruch auf eine abändernde erneute Beschlussfassung über die Nachschüsse und Anpassung der Vorschüsse. Mit dieser Entscheidung wird klargestellt, dass die Wohnungseigentümer Zahlungsansprüchen der Gemeinschaft grundsätzlich keine Einwendungen entgegenhalten können, soweit diese nicht rechtskräftig durch Urteil festgestellt sind. Das Interesse der Gemeinschaft an der Sicherung der Liquidität hat Vorrang.