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Eigenbedarf: Härtefallklausel des § 574 Abs. 1 BGB beachten

Das Mietverhältnis verlängert sich bei einer 82-jährigen Mieterin nach Ausspruch
einer Eigenbedarfskündigung auf unbestimmte Zeit, wenn die Mieterin altersgemäße
Gebrechen plausibel durch ärztliche Zeugnisse darlegt.

AG Dieburg, Urteil vom 23.04.2012, Az. 20 C 29/12 (23)

Zum Sachverhalt

Eine 91 qm große 4-Zimmer-Wohnung ist an eine 82-jährige Mieterin vermietet. Später
verkauft die Vermieterin die Wohnung. Die Käuferin und neue Vermieterin teilt der Mieterin
mit, dass sie die Wohnung selbst nutzen wolle. Sie kündigt das Mietverhältnis zum
30.09.2011 wegen Eigenbedarfs. Als Gründe gibt sie dabei die Nähe zu ihrem Arbeitsort,
einen intensiver gewünschten Kontakt zu ihren, in C wohnhaften Verwandten sowie die
Schaffung eines geeigneten sozialen Umfelds im Hinblick auf ihr fortschreitendes Alter an. Die
Mieterin widerspricht der Kündigung, wobei sie den Eigenbedarf der Vermieterin anzweifelt.
Außerdem liege eine unbillige Härte nach § 574 Abs. 1 BGB aufgrund ihres Alters und ihrer
Gesundheit vor. Hierbei verweist sie auf ärztliche Gutachten, aus denen hervor geht, dass sie
aufgrund von altersbedingten körperlichen Gebrechen einen Umzug nur unter schweren
Einschränkungen bewältigen könne. Die Vermieterin erhebt daraufhin Räumungsklage.

Zu den Gründen

Das Amtsgericht Dieburg weist die Klage ab. Zwar sei die Kündigung begründet. Jedoch sei
durch die Klägerin das Mietverhältnis nicht wirksam beendet worden. Der Widerspruch der
Mieterin führe dazu, dass gemäß §§ 574 a Abs. 1, Abs. 2 S. 2, 574 Abs. 1 BGB das
Mietverhältnis wirksam fortgesetzt werde. Es handele sich um eine 82-jährige Dame, die
einen überdurchschnittlich guten Kontakt zu ihren Nachbarn unterhalte, sich nach langjähriger
Wohnzeit an ihre Umgebung gewöhnt habe und mit ihr verwurzelt sei. Dies führe dazu, dass
sie sich dank der vertrauten Nachbarn und der Hilfe und Unterstützung ihres Enkels, der bei
ihr zur Untermiete wohne, an ihrem Wohnsitz zumindest zu diesem Zeitpunkt noch eine
gewisse Selbständigkeit bewahren könne. Durch einen Umzug und die damit verbundene
veränderte Umgebung würde ihr dieses, für sie so wichtige Stück Lebensqualität genommen.
Hinzu komme, dass sie unter ärztlich nachgewiesenen altersgemäßen Gebrechen leide, die
dazu führen, dass sie einen Umzug nur unter erheblichen Einschränkungen würde bewältigen
können. So sei ihr Bewegungsapparat erheblich eingeschränkt. Zudem leide sie unter
Schmerzen, die ihre Koordination einschränkten. Auch in Bezug hierauf würde ein Wechsel der
gewohnten Umgebung eine erhebliche Einschränkung ihrer Lebensqualität und somit eine
unzumutbare Härte darstellen. Zwar sei es ebenso nachvollziehbar, dass sich die Vermieterin
im Hinblick auf ihr eigenes fortschreitendes Alter ein stabiles soziales Umfeld schaffen wolle;
jedoch habe ihr Wohlbefinden keine Priorität gegenüber dem der Mieterin. Ihr sei es eher
zuzumuten, sich stattdessen in einer anderen Umgebung anzusiedeln. Hinzu komme, so das
Gericht, dass die Vermieterin bei der Wohnungssuche eine Auswahl gehabt habe und sich
ausdrücklich für diese Wohnung entschied, obwohl sie wissen konnte, dass die Mieterin wegen
ihrer Situation einen unzumutbaren Härtefall geltend machen würde.

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