Zustellung einer Kündigung an einen geschäftsunfähigen Mieter bei Bestehen einer Vorsorgevollmacht
Landgericht Hamburg, Urteil vom 10.05.2016, Az. 316 S 80/15
Sachverhalt
Der Mieter einer Wohnung gerät krankheits- und altersbedingt in den Zustand der Geschäftsunfähigkeit und stellt die Zahlung der Mieten ein. Eine Betreuung ist für diesen Mieter nicht eingerichtet worden, da der Mieter als er noch geschäftsfähig war seine Lebenspartnerin mit einer notariellen Generalvollmacht ausstattete. Aufgrund des Zahlungsverzuges nach Einstellung der Mietzahlungen kündigt der Vermieter das Mietverhältnis fristlos und nimmt den Mieter auf Herausgabe der Wohnung in Anspruch. Die Zustellung der Kündigung erfolgte an den Mieter und das Kündigungsschreiben wurde durch die Generalbevollmächtigte des Mieters persönlich entgegengenommen.
Gegen die Wirksamkeit der Kündigung wird eingewandt, dass die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ohne Wirkung blieb, da die Zustellung des Kündigungsschreibens bei dem geschäftsunfähigen Mieter nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt. Die Kündigung wäre nur wirksam, wenn sie einem gesetzlichen Vertreter und nicht dem rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten zugeht. Das Landgericht Hamburg teilt diese Auffassung nicht und hat den Mieter zur Herausgabe der Mietsache verurteilt.
Rechtlicher Hintergrund
Geschäftsunfähige genießen zivilrechtlich einen umfassenden Schutz und können rechtlich grundsätzlich nur wirksam in Anspruch genommen werden, wenn ein Betreuer bestellt ist, da nur diesem Betreuer gegenüber wirksam insbesondere Kündigungserklärungen abgegeben werden können.
Der Gesetzgeber hat hingegen zugleich bestimmt, dass die Einrichtung einer Betreuung unterbleiben soll, wenn der Geschäftsunfähige zu einer Zeit, als er noch geschäftsfähig war durch Erteilung von Vollmachten für die Wahrnehmung seiner Interessen für die Zeit nach dem Eintritt der Geschäftsunfähigkeit sorgte, § 1896 BGB.
Es ist inzwischen weit verbreitet, dass Vorsorgevollmachten und Betreuungs- und Patientenverfügungen insbesondere auch notariell beurkundet werden. Mit diesen Vollmachten ausgestattet bleibt es grundsätzlich entbehrlich, mit dem Eintritt der Geschäftsunfähigkeit durch Alter oder Krankheit förmlich einen Betreuer zu bestellen. Diese gesetzliche Vorgabe, sodann grundsätzlich für den Geschäftsunfähigen keinen Betreuer zu bestellen, kollidiert indes mit den Grundsätzen des Allgemeinen Schuldrechts, wonch Kündigungserklärungen gegenüber einem Geschäftsunfähigen erst wirksam werden, wenn sie den gesetzlichen Vertreter erreichen, § 131 Abs. 1 BGB.
Das Landgericht Hamburg hat entgegen des eindeutigen Wortlautes des § 131 Abs. 1 BGB für Recht erkannt, dass die Zustellung der Kündigung bei dem geschäftsunfähigen Mieter zu Händen seiner Generalbevollmächtigten ausreichend sei. Das Landgericht führt an, dass die Funktion der Generalvollmacht nur dann sinnvoll genutzt werden kann, wenn sie auch die Entgegennahme von Willenserklärungen umfasst; für den Zugang der Kündigungserklärung war die Bestellung einer ergänzenden gesetzlichen Betreuung nicht erforderlich. Zwar gilt gem. § 131 Abs. 1 BGB, dass eine Willenserklärung, die gegenüber einem Geschäftsunfähigen abgegeben wird, nicht wirksam wird, bevor sie dem gesetzlichen Vertreter zugehe. Habe der Geschäftsunfähige jedoch vor Eintritt der Geschäftsunfähigkeit einem Vertreter Generalvollmacht erteilt, genüge der Zugang einer an den Geschäftsunfähigen gerichteten Willenserklärung an den Vertreter; die Bestellung eines Betreuers gem. § 1896 BGB sei nicht erforderlich.
Vielmehr stehe es der Bestellung eines gesetzlichen Betreuers entgegen, wenn der Betroffene eine Generalvollmacht erteilt habe, da die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung stets subsidiär sei und nicht für solche Angelegenheiten erfolgen dürfe, die auf Veranlassung des Betroffenen hin von Dritten besorgt werden könnten. Wenn auch der Generalbevollmächtigte formell nicht gesetzlicher Vertreter des Geschäftsunfähigen sei, so sei seine Stellung jedoch der eines gesetzlichen Vertreters stark angenähert.
Die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung trotz des Vorliegens einer Vorsorge- oder Generalvollmacht komme nur bei Nichteignung des Bevollmächtigten, Zweifeln an seiner Redlichkeit oder bei einem möglichen Widerruf der Vollmacht in Betracht.
Praxishinweis
Da nach der durch das Landgericht Hamburg vertretenen Rechtsauffassung die Zustellung einer Kündigungserklärung gegenüber einem Generalbevollmächtigten genügt, kommt es bei Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit des Mieters letztlich nicht mehr darauf an, aufzuklären, ob zum Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung tatsächlich eine Geschäftsunfähigkeit eingetreten war. Diese Feststellungen sind in Zivilprozessen nur schwierig und zeitaufwendig zu treffen, so dass der Nachweis der Zustellung gegenüber einem Bevollmächtigten bei Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit des Mieters zu einer erheblichen Verfahrensverkürzung beitragen kann. Es ist daher sinnvoll, bei der Zustellung von Kündigungsschreiben sorgfältig zu dokumentieren, wem gegenüber konkret die Zustellung bewirkt wurde und bei der Entgegennahme der Kündigung durch Dritte deren etwaige Bevollmächtigung anzusprechen und zu dokumentieren.