Fortfall der insolvenzrechtlichen Kündigungssperre nach Freigabe des Mietverhältnisses durch den Insolvenzverwalter.
BGH, Urteil vom 17.06.2015, VIII ZR 19/14
Sachverhalt
Der Mieter mindert aufgrund eines Schimmelbefalls in der Wohnung die Miete und übt
ergänzend ein Zurückbehaltungsrecht aus. Bei einer Minderungsquote von 20 % und der
Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts in einem Umfang des Vierfachen des
Minderungsbetrages führt dies zu einer vollständigen Einstellung der Mietzahlungen. Der
Vermieter kündigt wegen des Zahlungsverzuges mehrfach fristlos. Aufgrund einer
überzogenen Ausübung des Zurückbehaltungsrechts stellt sich die Kündigung nach Auffassung
des BGH als berechtigt dar. Neben der Rechtsfrage zu der Ausübung des
Zurückbehaltungsrechts hatte sich der BGH indes auch mit der so genannten
Kündigungssperre in dem Insolvenzverfahren auseinanderzusetzen, da der Mieter im Verlaufe
der Auseinandersetzung über die Mietminderungen das Verbraucherinsolvenzverfahren
einleitete.
Entscheidungsgründe
Der BGH hat nunmehr für Recht erkannt, dass ein Insolvenzverfahren der Kündigung des
Mietverhältnisses nicht entgegensteht, wenn der Treuhänder die Freigabe des
Mietverhältnisses erklärt.
Gerät der Mieter in die Insolvenz und beantragt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, kann
dem Mieter wegen Zahlungsverzuges nicht mehr wirksam gekündigt werden. Die
rückständigen Beträge, die vor dem Eröffnungsantrag aufgelaufen sind, können nur im Insolvenzverfahren als Forderung geltend gemacht werden, eine Kündigung kann auf solche Rückstände hingegen nicht mehr gestützt werden, § 112 Nr. 1 InsO.
Der Treuhänder hat hingegen grundsätzlich dafür zu sorgen, dass die nach der Eröffnung des
Verfahrens fällig werdenden Mieten tatsächlich gezahlt werden. Während in
Gewerberaummietverhältnissen der Insolvenzverwalter sich durch Kündigung des
Vertragsverhältnisses von solchen Zahlungsverpflichtungen befreien kann, ist bei
Wohnraummietverhältnissen vorgesehen, dass anstelle des Kündigungsrechts des
Insolvenzverwalters eine Freigabeerklärung erfolgen kann. Gibt der Treuhänder das
Mietverhältnis frei, ist der Mieter wieder selbst für die vollständige Mietzahlung verantwortlich,
§ 109 Abs. 1 InsO.
In der Rechtsprechung und Kommentarliteratur war umstritten, welche Rechtsfolgen aus der
Freigabeerklärung des Treuhänders in dem Verbraucherinsolvenzverfahren gelten. Der für das
Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH hat nunmehr für Klarheit gesorgt
und für Recht erkannt, dass das Mietverhältnis mit der Freigabeerklärung des Treuhänders
vollständig wieder an den Mieter zurückfällt und für eine Kündigung des Mietverhältnisses
auch solche Rückstände herangezogen werden können, die zunächst der so genannten
Kündigungssperre unterlagen.
Mit dem Wirksamwerden der Freigabeerklärung wird das Mietverhältnis mithin vollständig von
dem so genannten Insolvenzbeschlag frei, so dass sämtliche rückständigen Beträge
unabhängig von dem Zeitpunkt der Fälligkeit der Mieten zur Kündigung des Mietverhältnisses
wegen Zahlungsverzuges wieder herangezogen werden können. Der BGH führt an, dass die
Kündigungssperre dem Schutz der Insolvenzmasse dienen soll und mit der Freigabe des
Mietverhältnisses muss diesem Schutzzweck nicht mehr genügt werden.
Der BGH stellt ferner fest, dass das Restschuldbefreiungsverfahren dieser rechtlichen Lösung
ebenfalls nicht entgegensteht. Insoweit wird eingewandt, dass der insolvente Mieter gehindert
sei, die gesetzliche Schonfrist auszunutzen, da im Restschuldbefreiungsverfahren keine
Sonderzahlungen an einzelne Gläubiger geleistet werden dürfen. Der Vermieter sei hingegen
mit den Mietzinsrückständen ebenfalls Insolvenzgläubiger und damit würde die gesetzliche
Schonfristregelung unterlaufen werden. Auch dies verwirft der BGH und stellt klar, dass der
Vermieter bei einem Mietrückstand von 2 Monatsmieten ohne weiteres zur fristlosen
Kündigung berechtigt ist. Dieser Kündigung kann der Mieter nach der Freigabeerklärung des
Mietverhältnisses durch den Treuhänder mit der so genannten Schonfristzahlung begegnen.
Diese Zahlung kann aus dem pfändungsfreien Vermögen des Mieters erfolgen, oder durch die öffentliche Hand, ohne dass ein Verstoß gegen das insolvenzrechtliche
Gleichbehandlungsgebot der Insolvenzgläubiger erfolge. Auch die im Rahmen der
Daseinsvorsorge gewährten Leistungen der öffentlichen Hand führen nicht zu einer
Verkürzung der Haftungsmasse im Insolvenzverfahren, so dass auch im
Restschuldbefreiungsverfahren die Schonfristregelung genutzt werden könne, mit der Folge,
dass dem insolventen Mieter die Wohnung erhalten bleibt, wenn die Rückstände ausgeglichen
werden und die laufende Mietzahlung erfolgt.
Praxishinweis
Ist über das Vermögen des Mieters das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet, sollte der
Treuhänder auf eine möglichst schnelle Entscheidung über die Freigabe des Mietverhältnisses
gedrängt werden. Sobald die Freigabe des Mietverhältnisses wirksam geworden ist, kann bei
bestehenden Rückständen die Verzugskündigung erfolgen. Der Mieter erhält damit
Gelegenheit, über die Fachstelle für Wohnungsnotfälle für einen Ausgleich der rückständigen
Mietbeträge zu sorgen. Scheitern diese Bemühungen, kann im Wege der Räumungsklage der
Herausgabeanspruch gegenüber dem Mieter durchgesetzt werden. Die rückständigen Beträge
sollten ferner fristgerecht zur Insolvenztabelle angemeldet werden; sofern ein Ausgleich
später durch die Fachstelle für Wohnungsnotfälle erfolgt, kann die Forderungsanmeldung ohne
weiteres zurückgenommen werden.