Verwalter-Telegramm

Pflicht zum Einschreiten bei Bekanntwerden einer zweckwidrigen Nutzung eines Wohnungs- oder Teileigentums?

Seit dem Inkrafttreten der Reform des Wohnungseigentumsrechtes im Dezember 2020 ist ausschließlich die Wohnungseigentümergemeinschaft für die Geltendmachung gemeinschaftsbezogener Ansprüche zuständig. Wird eine Wohnungs- oder Teileigentumseinheit anders genutzt, als in der Teilungserklärung vorgesehen, stellt sich die Frage, ob der WEG-Verwalter verpflichtet ist, für die Gemeinschaft die Unterlassung der zweckwidrigen Nutzung einzufordern.

Mit der Zuweisung der gemeinschaftsbezogenen Ansprüche zur ausschließlichen Geltendmachung durch die Gemeinschaft aus § 9a WEG ist grundsätzlich spiegelbildlich auch die Verpflichtung verbunden, die gegebenen Ansprüche auch tatsächlich zu verfolgen. In der Vergangenheit sind Konflikte über eine tatsächliche oder vermeintliche zweckwidrige Nutzung einer Wohnung oder gewerblichen Einheit regelmäßig zwischen den Wohnungseigentümern ausgefochten worden. Die Gemeinschaft war zwar berechtigt, die Angelegenheit an sich zu ziehen, musste hiervon jedoch keinen Gebrauch machen.

Der Bundesgerichtshof hat für Recht erkannt, dass für Altfälle der einzelne Sondereigentümer berechtigt bleibt, Unterlassungsansprüche aufgrund einer zweckwidrigen Nutzung eines Wohnungseigentums weiter zu verfolgen, Urteil vom 16.07.2021 zu dem Geschäftszeichen V ZR 284/19. Für noch nicht gerichtlich geltend gemachte Ansprüche gilt dies hingegen nicht mehr. Insoweit muss der WEG-Verwalter bei dem Bekanntwerden zweckwidriger Nutzungen entscheiden, ob eine Anspruchsverfolgung geboten ist und gegebenenfalls eine entsprechende Entschließung in einer Wohnungseigentümerversammlung herbeiführen.

In der Praxis ist häufig nicht leicht zu entscheiden, ob eine Nutzung, die von der Teilungserklärung abweicht, tatsächlich rechtswidrig ist. Es ist in der Rechtsprechung und juristischen Kommentarliteratur grundsätzlich anerkannt, dass Angaben zu Nutzungszwecken in den Teilungserklärungen und den Aufteilungsplänen grundsätzlich zu einer entsprechenden Widmung der betroffenen Einheit führen. Wird ein Teileigentum z.B. als Laden gekennzeichnet, ist eine abweichende Nutzung z.B. als Gastronomie grundsätzlich unzulässig und eine Wohnung darf nicht zu gewerblichen Zwecken verwendet werden. Die Grenzen sind indes fließend, so hat das Landgericht Hamburg mit Urteil vom 20.10.2021, Geschäfts-Nr. 318 S 47/20, angenommen, dass die Nutzung einer im Aufteilungsplan als Lager bezeichneten Teileigentumseinheit als Ferienwohnung nicht zu beanstanden sei. Das Landgericht Hamburg hat insoweit eine Zweckbestimmung aufgrund der zwar eindeutigen Bezeichnung im Aufteilungsplan verneint, da in dem Textteil der Teilungserklärung ein Ausbaurecht des Wohnungseigentümers enthalten war, sodass eine Bindung an die Angabe in dem Aufteilungsplan nicht anzunehmen war.

Ist hingegen aus der Teilungserklärung und dem Aufteilungsplan eine konkrete Zweckbindung der betroffenen Räume anzunehmen, ist zu prüfen, ob bei typisierender Betrachtungsweise die vorgefundene Nutzung nicht mehr stört als die vorgesehene Nutzung.

Vor der Geltendmachung eines etwaigen Unterlassungsanspruches ist mithin zu prüfen, ob die vorgefundene Nutzung bei einer generalisierenden Betrachtungsweise störender erscheint, als bei dem vorgesehenen Nutzungszweck zu erwarten und ob die Teilungserklärung nebst Aufteilungsplan tatsächlich eine Zweckbindung enthält.

Die Wohnnutzung ist im Vergleich zu einer gewerblichen Nutzung bei typisierender Betrachtung grundsätzlich nicht als störender anzusehen, da es, so das Landgericht Hamburg, keinen Erfahrungssatz gäbe, dass die Wohnnutzung die intensivere Form des Gebrauches einer Sondereigentumseinheit darstelle.

Ein ähnliches Bewertungsproblem stellt sich bei Teilungserklärungen, die einen sehr engen Nutzungszweck vorgeben, z.B. die Bezeichnung einer Teileigentumseinheit als Bankfiliale. Gibt das Bankinstitut nach langjähriger Nutzung die Filiale auf, stellt sich für den Teileigentümer die Frage, welche Anschlussnutzung zulässig ist, da im Zuge des Strukturwandels nicht zu erwarten ist, dass eine anderweitige Bank einen aufgegebenen Filialstandort eines Mitbewerbers übernimmt. Auch bei einer solchen durch Veränderung des Gewerberaummarktes erzwungenen Änderung der Nutzung ist wiederum eine Abwägung vorzunehmen und eine alternative Nutzung zuzulassen, die nicht störender ist, als der in der Teilungserklärung vorgesehene Nutzungszweck.

Bei eindeutig zweckwidrigen Nutzungen, die für die Wohnungseigentümer mit unmittelbar erkennbaren Nachteilen verbunden sind, gehört es zu der Befugnis des WEG-Verwalters, den Nachteil abzuwenden und unmittelbar für die Gemeinschaft tätig zu werden, § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG. Dies betrifft insbesondere zweckwidrige Nutzungen, die mit erheblichen Immissionen verbunden sind, sowie die sittenwidrigen Nutzungen. Bei den übrigen Sachverhalten ist es sachgerecht, die Wohnungseigentümerversammlung mit der Frage zu befassen, ob ein Einschreiten erfolgen soll, § 23 Abs. 1 WEG.

Eine Verpflichtung des WEG-Verwalters zum Einschreiten ist mithin nur bei eindeutigen und nachteiligen Pflichtverstößen anzunehmen, ansonsten bleibt es dem Entschließungsermessen der Wohnungseigentümer vorbehalten, wie bei von der Teilungserklärung abweichende Nutzungen verfahren werden soll.

Aktuelle Enscheidungen im Wohnungseigentumsrecht

Vergemeinschaftung von Individualansprüchen zum Zweck der Erledigung durch Vergleich

AG München, Urteil vom 20.10.2021; 1295 C 17749/20

  1. Ein Beschluss zur Vergemeinschaftung von Rückbauansprüchen kann rechtsmissbräuchlich und damit nichtig sein, wenn ein einzelner Wohnungseigentümer seinen Individualanspruch bereits gerichtlich geltend gemacht hat, eine Rechtsverfolung durch die Gemeinschaft nicht ernstlich beabsichtigt ist und die Beschlussfassung nur dazu dienen soll, den laufenden Individualprozess zu beenden.
  2. Auch eine außergerichtliche Einigung ist ein anerkanntes Mittel der Rechtsverfolgung.

Stilllegung ist keine geeignete Maßnahme bei Instandsetzungserfordernissen im Gemeinschaftseigentum

AG Saarbrücken, Urteil vom 28.10.2021; 36 C 117/21

  1. Die dauerhafte Stilllegung einer im Gemeinschaftseigentum befindlichen Anlage ist keine geeignete Maßnahme zur Erhaltung des Gemeinschaftseigentums. Vielmehr stellt sie den Entzug eines wesentlichen Bestandteils des Gemeinschaftseigentums dar und ist damit auf die Veränderung seiner sachlichen Substanz gerichtet.
  2. Diese faktische Beseitigung der Erreichbarkeit der oberen Stockwerke mit einem Aufzug durch dessen Stilllegung oder Verweigerung geeigneter Maßnahmen zur Erreichung der Funktionstüchtigkeit stellen keine Maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung dar.

Kein Abstellverbot für E-Autos in einer Tiefgarage

AG Wiesbaden, Urteil vom 04.02.2022; 92 C 2541/21

Grundsätzlich hat der Verband die Kompetenz, das Abstellen bestimmter Fahrzeuge in der Tiefgarage zu untersagen. Allerdings hat der Gesetzgeber mit dem WEMoG jedem einzelnen Wohnungseigentümer ein individuelles Recht auf die Gestattung baulicher Maßnahmen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen, gegeben. Dieser individuelle Anspruch, der nicht abdingbar ist, würde durch einen Beschluss, E-Autos nicht in der Tiefgarage abstellen zu dürfen, ins Leere laufen. Damit verstößt ein solcher Beschluss gegen ein wesentliches gesetzgeberisches Ziel der WEG-Reform, da die Schaffung von Ladeinfrastruktur die „Triebfeder“ der WEG-Reform war.

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