Keine Auszugspflicht des Mieters während Modernisierungsmaßnahmen
- Die Pflicht des Mieters, Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen zu dulden (§§ 555a Abs. 1, 555d Abs. 1 BGB) umfasst nur in Ausnahmefällen das zeitweise Verlassen der Wohnung.
- Der Vermieter muss bei der Planung und Durchführung von Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen auf die individuellen Belange der betroffenen Mieter Rücksicht nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB).
LG Berlin II, Urteil vom 22.10.2024; 65 S 139/24
Sachverhalt
Die Klägerin ist Vermieterin, der Beklagte Mieter der streitgegenständlichen Wohnung. Nach einer vorangegangenen Instandsetzungs- und Modernisierungsankündigung wird der Beklagte gerichtlich zur Duldung der Maßnahme verpflichtet. Mit Schreiben vom 20. Juli 2023 kündigt die Klägerin an, dass die beauftragten Handwerker ab dem 4. September 2023 Baufreiheit benötigen, um die vorgesehenen Maßnahmen durchzuführen. Wegen des Umfangs der Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten sei eine Bewohnbarkeit der Wohnung für mindestens 3 Monate nicht gegeben. Der 85-jährige Beklagte weigert sich, seine Wohnung zeitweise zu verlassen und in eine bereitgestellte Ersatzwohnung zu ziehen, woraufhin der Kläger nach einer vorangegangenen Mahnung das Mietverhältnis aufgrund einer schwerwiegenden Pflichtverletzung gemäß § 543 Abs. 1 BGB außerordentlich fristlos kündigt. Das Amtsgericht Berlin-Wedding verurteilt den Beklagten daraufhin in I. Instanz zur Räumung der Wohnung. Die Missachtung einer titulierten Duldungsanspruchs stelle eine gravierende Vertragsverletzung durch den Mieter dar. Hierauf legt der Beklagte Berufung vor dem Landgericht Berlin II ein.
Entscheidung
Mit Erfolg! Ein wichtiger Grund, der eine Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB rechtfertige, besteht laut Landgericht nicht. Ein solcher könne zwar grundsätzlich in der Verweigerung der Duldung von Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen liegen, allerdings habe das Amtsgericht die Duldungspflicht des Mieters zu weit ausgelegt. Gemäß §§ 555a Abs. 1, 555d Abs. 2 BGB habe der Mieter Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen nach rechtzeitiger Ankündigung von Seiten des Vermieters zu dulden. Der Begriff der Duldung beinhalte schon seinem Wortsinn nach kein aktives Tun, sondern beschränke sich auf passives Zulassen. Als aktive Mitwirkungshandlung schulde der Mieter lediglich, dem Vermieter oder den mit der Ausführung der Arbeiten beauftragten Personen – soweit erforderlich –, Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren. Eine Verpflichtung des Mieters, seine Wohnung zeitweise zu verlassen, käme nur unter sehr engen Voraussetzungen, etwa wenn Erhaltungsmaßnahmen bei einem baufälligen Haus nicht anders erledigt werden können, in Betracht. Einen solchen Ausnahmefall habe der Vermieter in seinem Ankündigungsschreiben jedenfalls nicht begründet dargestellt. Vielmehr treffe den Vermieter bei der Planung und Durchführung von Maßnahmen eine eigene Rücksichtnahmepflicht gegenüber seinem Mieter aus § 241 Abs. 2 BGB. Vorliegend hätte die Vermieterin auf die gesundheitlichen Belange des hochbetagten Beklagten, der seinen Lebensalltag nur noch mit der Hilfe von Freunden und Nachbarn bewältigen könne, Rücksicht nehmen und ihre Bauplanung entsprechend anpassen müssen. Eine solche Pflicht bestehe auch unabhängig von etwaig erhobenen Härteeinwänden des Mieters aus § 555d Abs. 2 BGB.
Fazit
Die Duldungspflicht des Mieters bei Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen erschöpft sich in aller Regel darin, nach vorheriger Ankündigung dem Vermieter oder beauftragen Handwerkern – wenn erforderlich – Zutritt zur Wohnung zu gewähren, nicht aber selbst die Wohnung zu räumen. Ein zeitweiser Umzug des Mieters in eine Ersatzwohnung kann nur unter sehr engen Voraussetzungen verlangt werden. Der Vermieter andererseits hat die Pflicht, auf die individuellen Belange der betroffenen Mieter Rücksicht zu nehmen und die Planung und Durchführung baulicher Maßnahmen entsprechend anzupassen.