Ein Erwerber von Wohnungseigentum, der den Erwerbsvertrag vor Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft, also vor Eintragung eines Wohnungseigentümers im Grundbuch, abschließt, ist selbst dann als werdender Wohnungseigentümer mit allen Rechten und Pflichten anzusehen, wenn er den Besitz an der Wohnung erst geraume Zeit nach dem Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft erlangt oder die Auflassungsvormerkung erst geraume Zeit nach Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft im Grundbuch eingetragen wird. Der teilende Wohnungseigentümer haftet ab dem Zeitpunkt, an dem der Erwerber durch Abschluss des Erwerbsvertrages als werdender Wohnungseigentümer anzusehen ist nicht mehr gesamtschuldnerisch für die Lasten der Wohnung.
BGH, Urteil vom 12.05.2012, V ZR 196/11
Sachverhalt
Die Beklagte ist teilende Eigentümerin einer Wohnanlage. Sie verkaufte eine Wohnung der
Anlage mit notariellem Kaufvertrag vom 14.07.2004 an die Erwerberin, zu deren Gunsten am
19.07.2004 eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen wurde. Die
Auflassung selbst ist bis zum heutigen Tage noch nicht erfolgt. Am 22.09.2004 wurde der
erste weitere Erwerber in das Grundbuch als Eigentümer eingetragen. Die Erwerberin der
streitgegenständlichen Wohnung nahm diese erst im Jahr 2006 in Besitz. Die klagende
Wohnungseigentümergemeinschaft verlangt von der Beklagten u.a. die Zahlung der
Abrechnungsspitzen aus den Abrechnungen der Jahre 2007 und 2008 sowie rückständiges
Hausgeld aus den Jahren 2009 und 2010 in Bezug auf die streitgegenständliche verkaufte
Wohnung. In I. Instanz war die Klage erfolgreich, wurde jedoch in der Berufung abgewiesen.
Entscheidung
Die Revision vor dem BGH bleibt ohne Erfolg. Die Erwerberin ist Schuldnerin der offenen
Beiträge gemäß § 28 Abs. 2 WEG, nicht die teilende Eigentümerin. Die Erwerberin der
Wohnung ist als „werdende Wohnungseigentümerin“ anzusehen, auch wenn sie erst nach
Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft durch Eintragung des ersten weiteren
Eigentümers im Grundbuch die Wohnung in Besitz genommen hat. Denn es gibt keine
sachliche Rechtfertigung für eine zeitliche Begrenzung der Aufnahme als Mitglied einer
werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft, wenn der Erwerbsvertrag bereits vor der
Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft geschlossen worden ist und die
Erwerbsposition erst „geraume Zeit“ nach der Entstehung der
Wohnungseigentümergemeinschaft durch die Eintragung der Auflassungsvormerkung und die
Einräumung des Besitzes gesichert wird. Als Begründung führt der BGH aus, dass es keine
unterschiedlichen Rechtsfolgen nach sich ziehen dürfe, wenn der Zeitpunkt der Sicherung der
Erwerbsposition erst geraume Zeit nach der Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft
liegt, da der Erwerber ebenso wenig wie die Entstehung der
Wohnungseigentümergemeinschaft durch die Eintragung eines anderen Erwerbers Einfluss
darauf habe, wann die Eintragung in das Grundbuch erfolgt und die Besitzübergabe der
Wohnung nach deren Fertigstellung erfolgt.
Fazit
Der BGH hat mit dieser Entscheidung die Kriterien, ab wann ein Wohnungseigentümer als
„werdenden Wohnungseigentümer“ – und damit als gleichberechtigtes Mitglied der WEG mit
allen Rechten und Pflichten – aufgeweicht und ausgeweitet. Bislang ist die herrschende
Auffassung davon ausgegangen, dass Mitglied einer werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft
nur derjenige sein kann, zu dessen Gunsten ein wirksamer Erwerbsvertrag
geschlossen worden ist, eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen war und an
ihn der Besitz an der Wohnung übergegangen war. Sobald der erste weitere
Wohnungseigentümer neben dem aufteilenden Bauträger als Eigentümer im Grundbuch
eingetragen war, schloss sich zu diesem Zeitpunkt der Kreis der werdenden
Eigentümergemeinschaft und sämtliche nachfolgenden Erwerber, welche eine gefestigte
Erwerbsposition nach den oben genannten Kriterien zu diesem Zeitpunkt noch nicht inne
hatten, konnten nicht mehr Mitglieder der werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft
werden und hatten nicht dieselbe Rechtsposition der werdenden Wohnungseigentümer inne.
Der aufteilende Eigentümer hatte in diesen Fällen auch die laufenden Kosten derjenigen
Wohnungen zu tragen, welche nicht Bestandteil der werdenden Eigentümergemeinschaft
waren. Mit dieser Entscheidung des BGH ist nunmehr das Bestehen eines wirksamen
Erwerbsvertrages vor der Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft ausreichend
dafür, dass der Erwerber ebenfalls zu dem Kreis der werdenden Wohnungseigentümer zählt,
mit der Folge, dass auch ihm alle Rechte und Pflichten dieser Rechtsposition gebühren. In
zeitlicher Hinsicht gibt der BGH lediglich zu erkennen, dass als gesicherte Erwerbsposition
ausreichend sein soll, dass „geraume Zeit“ nach der Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft
die Auflassungsvormerkung zu Gunsten des Erwerbers im Grundbuch
eingetragen sein müsse und die Wohnung ebenfalls „geraume Zeit“ nach diesem Zeitpunkt in
Besitz genommen sein müsse. Leider lässt der BGH offen, welchen zeitlichen Rahmen er unter
dem Begriff „geraume Zeit“ versteht. Auch kann diese Entscheidung zu erheblichen
Problemen in der Praxis führen, da danach lediglich der Abschluss eines wirksamen
Erwerbsvertrages ausreichend ist, den Erwerber als Teil der werdenden
Wohnungseigentümergemeinschaft anzusehen, mit der Folge, dass dieser zum einen
sämtliche laufenden Kosten bereits zu tragen hat und zum anderen auch zu sämtlichen
Wohnungseigentümerversammlungen zu laden ist und dort Stimmrecht hat. Es wird daher für
den Verwalter der WEG nicht mehr ausreichend sein, sich durch Blick in das Grundbuch
Gewissheit zu verschaffen, wer Mitglied der werdenden Gemeinschaft ist.